von Sandro Danilo Spadini
«It’s a beautiful day», sagt der Musikmogul David King (Denzel Washington) breit grinsend in der Auftaktszene von Spike Lees
«Highest 2 Lowest» zu sich selbst. Ein Statement, das davor in überkandidelter Fröhlichkeit bereits
gesanglich abgegeben worden ist, als die Kamera im Vorspann um die im morgendlichen Sonnenlicht glänzenden Wolkenkratzer von New York scharwenzelte. In einem ebensolchen Tempel des Kapitalismus
haust auch King – weit oben selbstverständlich, Penthouse, ganz zuoberst, mit allerbestem Blick auf die Brooklyn Bridge. Das gehört sich nun mal so für einen wie ihn – für einen, der längst im
Olymp angekommen ist in der Hauptstadt der Welt. Und der diesen Status in vollen Zügen geniesst und es gar nicht erst gross zu kaschieren versucht, wie sehr er es mag, wenn man ihn «The King»
nennt. Mehr ist mehr, scheint sein Motto zu sein, Grösse spielt eine Rolle. Der Brillant in seinem Ohr: voluminös. Der Klunker am Finger: riesig. Das Kreuz um den Hals: monumental. Und an den
Wänden in seinem Luxusapartment hängen nicht nur massenhaft exquisiteste Sport-Memorabilia, sondern auch eine üppige Menge gerahmter Zeugnisse, die ganz unbescheiden die eigene Heldengeschichte
fein säuberlich dokumentieren. Und trotzdem, trotz all dieser Protzerei: «King David» – so wird er noch etwas lieber genannt – ist kein tumber Typ, kein abgehobenes Alphatier, das von seiner
genialen Grossartigkeit berauscht ist und alle Welt dazu zwingt, an diesem Rausch teilzuhaben. Er habe die besten Ohren in diesem Business, behauptet er zwar mit einem gerüttelt Mass an
Selbstbewusstsein. Er sagt aber auch Sachen wie, dass es mehr im Leben gebe als Geld – dass es gerade im Musikgeschäft von heute auch um Integrität gehe. Und deshalb will er nun jene Anteile an
seiner ins Straucheln geratenen Plattenfirma, die er vor fünf Jahren abgestossen hat, wieder zurückkaufen, statt den Rest an ein seelenloses Konglomerat zu verhökern, wie das seinem
Geschäftspartner (Michael Potts) vorschwebt. Heute möchte er den Deal fix machen – gerade erst hat er seine Gattin (Ilfenesh Hadera) eingeweiht. Ein wahrhaft wunderbarer Tag soll das werden. Wird
es aber nicht.
Ein moralisches Dilemma
Denn mitten im Schäkern mit seiner besseren Hälfte vibriert das Handy in der Jackentasche seines Designeranzugs. Und was er nach dem Abheben zu hören bekommt, lässt den König zum Bettler werden:
Man habe seinen Sohn Trey (Aubrey Joseph) entführt, und wenn er ihn zurückwolle, habe er exakt 17,5 Millionen Dollar rauszurücken – zahlbar in 1000-Schweizer-Franken-Noten. Der Schock freilich,
er ist von kurzer Dauer, weicht schon tags darauf der Erleichterung – diese dann aber sogleich wieder einem moralischen Dilemma. Die Entführer haben nämlich den Falschen erwischt: nicht Trey,
sondern dessen besten Freund Kyle (Elijah Wright), den Sohn von Davids vorbestraftem Chauffeur und Kumpel Paul (Jeffrey Wright), notabene sein Patenkind. Die Kidnapper denken denn auch nicht
daran, ob dieses Lapsus von ihren exorbitanten Forderungen abzuweichen. Und David wiederum denkt im ersten Moment mitnichten daran, darauf einzugehen – es sei dies schliesslich nicht sein Kind.
Im zweiten Moment jedoch wird er sich der Implikationen bewusst, die eine Weigerung nach sich ziehen würde: nicht nur auf privater Ebene, sondern auch was das Image angeht. Der finanzielle Ruin
wird da auf einmal zur valablen Option, die David ebenso in Erwägung zieht wie einst in den frühen Sechzigerjahren der Schuhfabrikant Kingo Gondo (Toshirō Mifune) in Akira Kurosawas
Film-noir-Meisterwerk «High and Low», auf dem das hier natürlich beruht.
Tief in New York eingewoben
Spike Lee allerdings hat die Handlung von Yokohama zurück nach New York verfrachtet, wo mutmasslich schon die Vorlage «King’s Ransom» von Ed McBain angesiedelt ist (sie spielt in einer dem Big
Apple nachempfundenen anonymen Metropole). Und gegenüber Kurosawa hat er neben den logischen Updates (Social Media!) und kulturellen Adaptionen (Basketball!) einige nicht unwesentliche Änderungen
vorgenommen. Deren folgenschwerste: Weil Paul eben nicht nur Davids Angestellter, sondern überdies sein Freund ist, schrumpft die im japanischen Original stets präsente Klassenthematik letztlich
zur Randnotiz. Lediglich im Verhalten der Polizei, zuvörderst des latent rassistischen weissen Cops (Dean Winters), schimmert sie bisweilen noch durch; mit zunehmender Dauer verschwindet sie
indes ganz. Und auch die minutiöse Ermittlungsarbeit der Polizei, das ganze Verfahrenstechnische, das Kurosawa so enthusiastisch zelebriert hatte, ist hier nicht viel mehr als
Hintergrundrauschen. Umgekehrt hat Lee die Lautstärke gehörig aufgedreht, den still-gedrückten Schwarzweiss-Klassiker durch den Remix-Fleischwolf gedreht und in ein hochglanzpoliertes,
energetisch vibrierendes Sittengemälde verwandelt, das immer wieder ins kalkulierte Chaos abdriftet, in das formale Stilbrüche ebenso reingepfercht werden wie praktisch sämtliche von Lees nicht
wenigen Ticks, Tricks und Obsessionen (zu denen sich offenkundig noch fast durchgehend gewöhnungsbedürftige, um nicht zu sagen fragwürdige, nein: nachgerade nervtötende Soundtrack-Entscheidungen
gesellt haben). Vor allen Dingen aber ist «Highest 2 Lowest» ein New-York-Film. Ja so tief ist der lücken- und längenlose Plot in die Stadt, ihre Musikszene und Sportgeschichte eingewoben, dass
sie bald einmal fast die Hauptrolle einnimmt. Aber eben nur fast. Denn diese Hauptrolle, die gehört Denzel Washington, einem fulminant funkelnden Denzel Washington, um präzis zu sein. Und wenn
Denzel Washington fulminant funkelt, wenn der wohl grösste Schauspieler seiner Generation also nochmals über sich hinauswächst in seiner ersten Zusammenarbeit mit Spike Lee seit fast zwanzig
Jahren und dem knackigen Thriller «Inside Man», wenn dieser Ikone abermals spielerisch grinsend der Spagat glückt zwischen breitbeiniger Lässigkeit und würdevoller Besonnenheit – dann kann man
sich auf etwas gefasst machen. Und dann ist es aber auch kein Wunder, dass die neben ihm wie blutige Amateure ausschauen. Nichtsdestotrotz hätte man von der einen oder dem anderen ein bisschen
mehr verlangen dürfen – es ist das immerhin ein Spike-Lee-Film, nicht irgendein Highschool-Theater. Die Player in der zweiten Reihe (neben Ilfenesh Hadera etwa auch der Rapper A$AP Rocky oder die
zahlreichen Cameos aus der Sportwelt) sind es neben dem Soundtrack (o Gott, dieser Soundtrack!) beziehungsweise dessen Einsatz (um Himmels willen!) denn auch, die den Gesamteindruck dann doch ein
wenig zu trüben vermögen, die das Ergebnis gewissermassen von «high» sanft in Richtung «low» verschieben. Sprich: Die Steigerung im Titel gegenüber dem Original bleibt – wiewohl das alles fraglos
sehenswert war – nicht nur wegen der zehn Minuten kürzeren Laufzeit doch rein grammatischer Natur.