von Sandro Danilo Spadini
«Sättigungstaucher» nennt man das, was Chris Lemons (Finn Cole), Dave Yuasa (Simu Liu) und Duncan Allcock (Woody Harrelson) da machen. In bis zu sagenhafte 300 Meter Tiefe tauchen sie
ab, um sich am «stockdunklen und arschkalten» Meeresboden um den Unterhalt von Unterseekabeln zu kümmern. Es sei dies einer der gefährlichsten Jobs der Welt, lässt man uns während des Vorspanns
des Actiondramas
«Last Breath» wissen. Und da ist es halt kein Wunder, dass die
Verlobte von Chris (Bobby Rainsbury) so gar nicht frohen Mutes ist, als dieser zu seinem nächsten Auftrag an der schottischen Küste aufbricht. Sie solle sich nicht sorgen, er werde schon
klarkommen, versichert er ihr mit seinem spitzbübischen Charme zwar. Und: «Es ist wie eine Reise ins All, einfach unter Wasser.» Doch auch das taugt natürlich nicht mal bedingt, um sie zu
beruhigen. Um die in ihrem Kopf herumspukenden Dämonen zu verscheuchen. Den an die Wand gemalten Teufel fortzuwischen. Das Schreckgespenst aus ihren Albträumen zu bannen. Oder ist es eine böse
Vorahnung, die sie da umtreibt? Schnell jedenfalls weist sich, dass ihre Ängste alles andere als unbegründet waren. Denn kaum setzt die Unterwasser-Action ein und sind Chris und Dave abgetaucht,
da geraten die Dinge ausser Kontrolle, nimmt die Katastrophe ihren Lauf, wird der Albtraum wahr. Oben auf dem in rauer Nordsee manövrierenden Mutterschiff fällt das Ortungssystem aus, und Chris
wird von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten und von der Kommunikation getrennt und treibt davon – ohne Orientierung, mit nur noch zehn Minuten Sauerstoffreserve und also quasi bar jeder
Hoffnung auf Rettung. Auch Dave ist sich sicher, dass sein Kollege verloren ist – und dass es nun bloss noch um eine Leichenbergung gehe. Doch Duncan, der hier altersbedingt seinen letzten
Einsatz absolviert, will das nicht akzeptieren. Und auch wir sind nicht bereit dazu.
Basierend auf einem Dokumentarfilm
Es kommt nicht alle Tage vor, dass man bei einer Heldengeschichte derart mitfiebert wie hier. Doch Regisseur Alex Parkinson versteht es, all die richtigen Knöpfe zu drücken, um einem den Atem
abzuschnüren, und das zur jeweils goldrichtigen Zeit. Im Stile eines alten Action-Hasen hält er so über die ganze Dauer seines auf kurzen und bündigen 90 Minuten festgezurrten Films die Spannung
hoch – was eine umso stolzere Leistung ist, als Parkinson aus dem (Natur-)Doku-Fach kommt und hier sein Spielfilmdebüt gibt. Freilich ist er mit der Materie bestens vertraut, ist «Last Breath»
doch die Adaption seines gleichnamigen Dokfilms aus dem Jahr 2019 über ein wahres Drama, das sich sieben Jahre davor ereignet hatte. Und diese Wurzeln des Films werden nicht nur in seiner
stilistischen Ausrichtung offenbar, die zwischen mal gespenstisch körnigem schwarzweissem, mal bloss profanem Überwachungskameramaterial und opulenten grün-, rot- oder blaustichigen
Unterwasseraufnahmen oszilliert; sie zeigen sich auch an einer gewissen Detail- und Technikversessenheit. Unter mechanischem Murren und hartem Hämmern, unter kaltem Klackern und dumpfem Dröhnen,
unter schrillem Scheppern und röchelndem Rasseln werden immer wieder all das Gerät und die Ausrüstung, die ganzen nautischen Instrumente und sogar das Verbrauchsmaterial in den Fokus gerückt und
die Dialoge mit Fachjargon angereichert. Doch statt ins Nerdige abzusaufen und auch der Handlung gleichsam den Sauerstoff zu entziehen, bleibt der Film immer über Wasser. Denn bei alledem und
auch bei allem Adrenalin ist «Last Breath» stets ein Film, der die Menschen, die an einem der unwirtlichsten Orte des Planeten nachgerade Unmenschliches leisten, und den Tribut, den sie dafür
zollen, im Blick behält und die meiste Zeit in den Mittelpunkt stellt. Und das ist es denn auch, was die so hohe emotionale Wirkung erklärt, die Parkinson erzielt.
Durchs Band authentisch gespielt
Es gibt da diesen einen kurzen, scheinbar nichtigen Moment, der alles erklärt, was Parkinson hier macht: als der Schiffskapitän (Cliff Curtis) gegenüber seiner Ersten Offizierin (MyAnna Buring)
vom «Taucher Nummer 2» spricht und sich dann sofort korrigiert und «Chris» sagt. Auch Parkinson behandelt seine Protagonisten nicht wie anonyme Könner, wie namenlose Vehikel, deren einzige
Aufgabe es ist, die Action zu transportieren. Stattdessen sind hier trotz der knappen Laufzeit und der turbulenten Umstände Menschen mit klaren Konturen an Bord: der noch vergleichsweise
unerfahrene Chris, der mitnichten so angst- und sorgenfrei ist, wie er gegenüber seiner Verlobten auftritt; der grantige Dave, dessen Sozialkompetenz nicht immer mit seiner offenkundig legendären
Fachexpertise Schritt zu halten vermag; und der schäkernde und Sprüche klopfende Haudegen Duncan, eine klassische Woody-Harrelson-Rolle. Durchs Band gut – und authentisch! – gespielt ist das
obendrein, und zwar nicht nur von den drei Hauptdarstellern, sondern auch von den Leuten an Deck, die ihren Job gleich wie ihre Figuren erledigen: schnörkellos, aber hocheffizient.
Bezeichnenderweise hört der mit einer angemessenen Portion Pathos ausgestattete und einer homöopathischen Dosis Teufelskerl-Sprüchen angereicherte Film dann auch nicht einfach auf, nachdem die
von Paul Leonard-Morgans Soundtrack kongenial untermalte Action ihren Höhepunkt überschritten hat. Er nimmt sich vielmehr noch die Zeit, zu zeigen, was diese Heldengeschichte für Folgen hatte für
die Menschen, die mit Leib und Seele involviert waren, wie hoch der emotionale Preis war, den sie dafür bezahlt haben, und wie heftig der Schrecken ist, der ihnen noch für eine unschöne Weile in
den Knochen stecken wird. Und das ist dann einfach nur heldenhaft.