von Sandro Danilo Spadini
Das letzte Mal stand alles auf dem Spiel: die Welt, wie wir sie kennen, die Wahrheit – unsere Existenz. Aber wer gedacht hat, dass sich Dramatik und Bedeutungsschwere nun
unmöglich noch weiter eskalieren liessen, dem sei versichert: O doch, das geht sehr wohl. Die ersten, ja die allerersten Minuten von
«Mission:
Impossible – The Final Reckoning» machen nochmals klipp und klar, hämmern auch dem hinterletzten fehlinformierten Relativierungsschwurbler ins Matschhirn und erinnern die Vergesslichen
unter uns daran, worum es hier geht, was der Einsatz genau ist. Keine Geringere als die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika (Angela Bassett) ist es denn auch, die im Prolog über den
üblichen Kommunikationskanal zu Ethan Hunt (Tom Cruise) spricht: Zuerst bedankt sie sich für seinen «unermüdlichen Einsatz» in den letzten 35 Jahren – was Regisseur Christopher McQuarrie doch
prompt für eine recht hübsche Montage mit einer Rückschau auf die vorangegangen sieben Teile der Reihe nutzt. Er habe zwar nie Befehle befolgt, fährt die Commander-in-Chief fort, doch er habe
sein Land nie im Stich gelassen. «You were always the best of men in the worst of time», sagt sie so wunderbar pompös, wie sie das nur in Amerika können: der beste Mann in den garstigsten Zeiten.
Doch dann ist Schluss mit Honig-um-den-Mund-Schmieren. Dann kommt Madam President zur Sache: Nun aber solle er sich ergeben. Sonst klebe das Blut von Milliarden Menschen an seinen Händen. «Kommen
Sie heim!», fleht sie – und weiss in ihrem tiefsten Inneren wohl, dass ein Ethan Hunt nie das tun wird, was man ihm sagt, oder jedenfalls nie auf die Art, wie man es ihm aufträgt. Und recht
hat er. Denn würde er wider seine Natur handeln und für einmal einer Order gehorchen, in den Schoss seiner Regierung zurückkehren und diesen Schlüssel aushändigen, diesen digitalen Schlüssel zur
Macht über jene parasitäre künstliche Intelligenz, die ein Klima der Paranoia erzeugt, eine sektengleiche Bewegung kreiert und alle politischen und wirtschaftlichen Ebenen infiltriert hat mit dem
Endziel, die neun Nuklearmächte einander auslöschen zu lassen und den Planeten also in Schutt und Asche zu legen – würde er das tun, gäbe er einem Land – seinem Land zwar, aber trotzdem – eine
Form von Macht, wie sie niemand haben sollte. Tut er es indes nicht und ein Schurke wie der aus dem letzten Teil bekannte Gabriel (Esai Morales) bekommt den Schlüssel in die Hand, wären die
Konsequenzen vermutlich noch gravierender. Und passiert weder das eine noch das andere, dann wird die «Entität», wie die zerstörungswütige manipulative KI nur genannt wird, in vier Tagen die
Kontrolle über sämtliche Atomsprengkörper erlangt haben und den Weltuntergang einläuten – Armageddon. «Die Welt verändert sich. Wahrheit löst sich auf. Der Krieg kommt», hat sie uns schon
längst wissen lassen. Mit anderen Worten: Wir sind schachmatt. Angekommen am Ende der Welt. Und die Schuld daran trägt: Ethan Hunt.
Erschöpft? Vielleicht ein bisschen
Warum das so ist, muss hier nicht ausformuliert werden. Das kommt früh genug raus. Denn «The Final Reckoning» macht keine Gefangenen und vom Start weg in jenem Tempo weiter, in dem Teil 7
aufgehört hat. Der Film hat zwar eine Laufzeit von beinahe drei Stunden – und addiert man die 163 Minuten von «Dead Reckoning», sind es gar über fünfeinhalb Stunden –, doch man hat es offenkundig
eilig, diese Geschichte zu erzählen. Weil aber die Erinnerung an den Vorgänger nach zwei Jahren trotz dessen Klasse ein wenig verblasst sein dürfte und weil die Zusammenhänge ohnedies für einen
Blockbuster doch reichlich komplex sind, gilt es zunächst auch einmal, mittels eingestreuter Rückblendenschnipsel die Geschehnisse kurz zu rekapitulieren. Und ähnlich wie beim Abschluss des
Bond-Zyklus mit Daniel Craig wird auch hier versucht, den ganz grossen Bogen zu spannen – bis zurück zum ersten Teil aus dem Jahr 1996. Denn alles, was Hunt seither getan hat, wenn er, wie es
einmal heisst, mal wieder mit dem Schicksal der Menschheit gezockt hat, weil er abermals Befehle verweigert hat, all das Übermenschliche und der Wahnsinn – das hat schliesslich zu diesem
(End-)Punkt geführt: zur «finalen Abrechnung», wie sie der Titel verkündet. Was bei dieser Reise in die Vergangenheit naturgemäss ins Auge sticht: Ja, auch Tom Cruise – wenngleich topfit wie eh
und je, wie er in der einen oder anderen Oben-ohne-Szene spürbar stolz demonstriert –, selbst dieser ewige Jungbrunnen also altert – dezent zwar und würdig, aber unverkennbar. Und mit ihm
dieser Weltenretter mit den tausend Leben. Das zeigt sich schön in einer frühen Szene, als Hunt mit seinen Mitstreitern Luther (Ving Rhames) und Benji (Simon Pegg) wiedervereint wird. Da schäkern
die drei zwar wie ehedem. Doch die Mienen sind ernst, die Stimmen belegt, die Blicke matt. Fraglos ist das auch den widrigen Umständen geschuldet – aber es ist eben nicht mal mit einem
«Million Dollar Smile» in schönster Tom-Cruise-Manier wegzulächeln, dass auch diese unverwüstlichen Kempen nach all ihren unmöglichen Missionen, die sie in den letzten 30 Jahren unter maximalem
körperlichem und nervlichem Einsatz absolviert haben, dem Zahn der Zeit einen Obolus entrichten mussten. «Du musst erschöpft sein», zündelt denn auch der diabolische Silberfuchs Gabriel einmal in
Richtung Hunt. Und da wie auch andernorts schimmert dann durchaus eine gewisse Selbstironie durch – etwas, was man von einem Tom Cruise jetzt nicht unbedingt gewohnt ist. Es sind das freilich nur
sehr flüchtige Zerstreuungen in einem ansonsten todernsten Spektakel, das von der ersten Sekunde an auf Tutti geht und irgendwann jegliches Mass verliert, sämtliche Gesetze ausser Kraft setzt und
in einem Exzess monumentalen Ausmasses mündet: die Lautstärke voll aufgedreht, die Schnittzahl bisweilen auf Niveau der filmischen Nervenzusammenbrüche, wie sie um die Jahrtausendwende en vogue
waren, die Wortmeldungen nur noch weltbewegend, die Widerstände immer zahlreicher, der Weg immer wendungsreicher, die Aktionen immer todesmutiger, alles immer noch grösser, schneller, kälter,
heisser, härter, steiler, krasser, schlimmer, übler, trüber, übermenschlicher – und die Mission so immer unmöglicher. Nur die Schauplätze und -werte, die waren schon mal atemberaubender –
ein kleines bisschen.
Von wegen Science-Fiction!
Mit diesem Nonstop-Rambazamba erklimmt «The Final Reckoning» den perfekten, logischen Kulminationspunkt: Es mag das zwar nicht der beste Teil sein, es ist aber nichtsdestotrotz der krönende
Abschluss der grössten Actionreihe aller Zeiten, die nach der Übernahme durch Regisseur und Drehbuchautor Christopher McQuarrie vor zehn Jahren für die zweite Hälfte ihres gesamthaft acht Teile
zählenden Laufs nochmals einen Adrenalin- und Qualitätsschub erfahren hat. Dass er hier neuerlich am Eskalationsschalter und am Dramatikregler schraubt, ist da nur nichts als recht – zumal er den
Pathosknopf weiterhin nur dosiert drückt. Auch am mitunter leicht überfrachtet anmutenden Plot gibt es letzten Endes nichts zu mäkeln. Dass er die schlimmsten Ängste der Gegenwart ernst nimmt,
daran besteht trotz eines unbestreitbar heftigen Flirts mit dem Absurden jedenfalls kein Zweifel. Eine ausser Kontrolle geratene und das Kommando übernehmende künstliche Intelligenz, die mittels
Desinformation und einer sektiererischen politischen Bewegung die Regeln bricht, Gewissheiten ausser Kraft setzt und die Welt so weit aus den Angeln hebt, dass es auf die totale Vernichtung der
Menschheit hinausläuft: Was vor nicht mal so langer Zeit, sagen wir bei McQuarries erster «M:I»-Arbeit vor einem Jahrzehnt, noch Stoff für einen Science-Fiction-Streifen und hier mithin
deplatziert gewesen wäre, ist nunmehr zu einem Szenario avanciert, das in diesem Genre absolut seinen Platz hat. Doch McQuarrie greift nicht nur das auf, was mehr oder weniger augenscheinlich
falsch läuft in diesen bizarren Zeiten. Er schürft noch etwas tiefer, prangert den unstillbaren Machthunger auch der USA an und zeigt kopfschüttelnd auf, in was für eine Situation wir uns da
mutwillig hineinmanövriert haben, wenn es tatsächlich eine Diskussion wert ist, ob wir die Menschheit als solches oder doch besser die Wirtschaft schützen sollten. Oder wenn er gleich mehrfach
klarmacht, dass Ethan Hunt immer jemand war, der ausserhalb des Systems operiert hat und dass dieses System nun mit aller Wucht zurückschlägt – und womöglich am Ende doch gewinnt. Sicherheiten
gibt es mittlerweile nun mal keine mehr. Sogar James Bond hat es erwischt. Heutzutage weiss man nie. Andererseits ist Ethan Hunt kein James Bond. Denn Ethan Hunt ist Tom Cruise. Und der ist, nach
allem, was man heute weiss, unsterblich.